Ein Raunen, ein beschämtes zu Boden schauen, ein „OK, wir müssen wirklich etwas ändern, Gastronomie hat in dieser Form wirklich keine Zukunft mehr“ — Irgendetwas in diese Richtung hätten wir uns gewünscht. Die Zeit hat in einem großen Beitrag zweier Journalistinnen einen sehr realistischen Eindruck zum Umgang mit MitarbeiterInnen in der Gastronomie veröffentlicht. Mit dem Titel “Gruß aus der Küche”.

Aktuell fühlt es sich etwas wie ein leiser Verfall der Gastronomie an. Einem Lebensmittelpunkt der uns allen sehr wichtig ist. Die Reaktionen von Seiten der Gastronomie, DEHOGA und IHK auf den Artikel waren nicht spürbar, denn es wurde schlichtweg nicht darauf reagiert! Als wäre es vor allem den großen Institutionen egal, dass sie sich gerade selbst abschaffen, obwohl sie eine wichtige Aufgabe im System übernehmen. Aber ist dieses System noch das Richtige?

Eine kurze Zusammenfassung für alle die den Artikel nicht gelesen haben: Der Artikel handelte von Mitarbeiterführung innerhalb der Gastronomie. Im weitesten Sinne zumindest, weil es uns etwas unangemessen erscheint, bei den zum Teil untragbaren Zuständen in den Küchen von wertiger und menschlicher Mitarbeiterführung zu sprechen. Weiterhin wurde über Sterneküche und Sterneköche berichtet. Wir ersparen uns an dieser Stelle gewisse Namensnennungen, damit uns konservative Food-Journalisten nicht unterstellen können, dass wir das Thema nur zur Profilierung aufgreifen und auf Kosten anderer in tiefe Wunden drücken.

Aus Sicht der Köchinnen und Köche hat der Text “nur” die alte Leier abgehandelt: Schikane, aggressives Verhalten, hierarchische Strukturen zur Denunzierung von sogar stellenweise Schutzbefohlener — und das sind Auszubildende unserer Meinung nach definitiv. Wollen wir hier aber gar nicht weiter auf den Artikel eingehen. Oder gar auf Bekannte aus dem Dunstkreis der Gastronomie, welche sich mit schützender Hand und sogar einem Affront gegen die Autorinnen des Artikels von Die Zeit stellen.

Wir sind wirklich geschockt, dass es hier keinen Aufschrei aus der Branche gab. Ein “endlich werden wir gehört!” Wirklich nur wenige Gastronomen äußerten sich zum Thema. DEHOGA und IHK stellten die Ruhe schlechthin dar, als gäbe es keinerlei Anzeichen einer Überforderung der Branche oder rein gar nichts schützenswertes oder ein Anlass zur Veränderung. Allmählich bekommt man das Gefühl, das die Presse ein weit größeres Anliegen daran hat, aufzuklären und zu hinterfragen wie man sich den plötzlichen Fachkräftemangel in der Gastronomie erklären kann. 

Wir haben gelernt mit der Pandemie umzugehen und sie scheint dadurch ein wenig abzuklingen. Sie wird als hervorragende Ausrede benutzt, was die Abwanderung der Fachkräfte in der Gastronomie angeht. Doch vor der Pandemie war es ebenfalls bereits harte Arbeit gute Fachleute zu akquirieren. Zu Beginn der Pandemie 2020, im März, April und Mai, habe wir gemeinsam mit vielen Gastronomen gesprochen, so gut es ging Workshops durchgeführt, Impulse gesetzt und viel über diese Thematik nachgedacht und nach außen kommuniziert. Der Grundtenor unserer Interessengruppen war letztlich immer der Selbe: Wir brauchen Veränderung, bevor wir komplett den Anschluss verlieren und in der Ausbildung keine Köchinnen und Köche mehr nachkommen. Die Auswirkungen daraus, sollten allen klar sein.

Das geschah im ersten Lockdown. Der zweite Lockdown, der die Gastronomie in eine noch längere und härtere Zwangspause versetzte, ließ Gastronomen und Hoteliers im Anschluss feststellen, dass auch hier ein brandbeschleuniger am Werk war. Sie standen vor den Trümmern ihres eigens erzeugten System, um die sich doch im Idealfall erst die nächste, jüngere Generation kümmern sollte. Fachkräftemangel soweit das Auge reicht. Eingeschränkte Öffnungszeiten, immer schlechterer Service, weil zu wenig Personal da ist. Die fachliche Kompetenz wollen wir an dieser Stelle einmal außen vor lassen.

Wir hören aber entweder nur Gejammer oder Stillschweigen! Kein oder nur wenig Gerede von nötigen Veränderungen. Leise Forderungen an DEHOGA und IHK, die sich aber ganz offensichtlich nicht wirklich zuständig fühlen. Wer sind denn jetzt die Ewiggestrigen? Von den Wirten und Hoteliers erwartet man sowieso meist gar keine neuen Ideen. Irgendwie wird es schon weitergehen, so wie immer — oder eben auch nicht. Wie jeden Tag: Wenn Personal am Abend ausfällt, bleibt die Frühschicht eben länger. Das sind dann 14-stunden Tage. “Sehr gerne, Chef!“

Ja, wir meckern hier viel herum! Wir sind aber eben auch bereit Veränderungen mit anzugehen und umzusetzen. Es gibt viele junge Menschen da draußen, die eine lebenswerte, sozialverträgliche und familiengerechte Gastronomie umsetzen wollen oder es in Teilen bereits tun. Und deren Zukunft und Glück hängt davon ab, in den nächsten Jahren auf eine breite Masse an kompetenten Fachkräften zurückgreifen zu können. Wir würden uns daher freuen, wenn es im allgemeinen gastronomischen Diskurs nicht nur um die sexyness eines Gerichts geht, sondern auch um alles Andere darum herum. Außerhalb des Tellerrandes. Wenn wir jetzt nicht reagieren, wird nur eine handvoll Fachkräfte übrig bleiben, die diese Teller und den Zeitgeist unserer Esskultur wirklich umsetzen und kochen können. Jene die unseren Genuss entscheidend mitprägen können und werden. Wir wollen und können den Verfall einer Gastronomiebranche, welche uns so am Herzen liegt nicht hinnehmen. 

Teilen, ergänzen und Diskussionen erwünscht. 

Lukas Dillinger, Felix Bröcker & Vincent Fricke

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Über die Autoren

Lukas Dillinger arbeitete mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Hin-
tergrund im Bereich Marketing und Innovation bei Agenturen und im Bereich digitale Produkte einer großen, überregionalen Tageszeitung. Sein Master-Studium absolvierte er dann an der Universität für gastronomische Wissenschaften in Norditalien. Danach baute er den Vertrieb eines niederbayerischen Start-Ups auf, welches die Lebensmittelbranche digitalisiert und vernetzt. Inzwischen leitet und entwickelt er das Zukunfts-Projekt »Lebensraum & Genussregion Niederbayern«. Sein Herz schlägt für die Gastronomie und ihre Menschen auf der ganzen Welt.

Felix Bröcker ist gelernter Koch. Nach seiner Ausbildung, einigen Jahren in
der internationalen Spitzengastronomie und Abschluss der Hotelfachschule
in Heidelberg, begann er ein Studium der Filmwissenschaft und Philosophie.
Ein Master in Kuratieren und Kritik ergänzte den kulturellen Blick um eine
künstlerische Betrachtung. Felix arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und
Küche, praktisch und theoretisch, mit Köch:innen, Wissenschaftler:innen, Künstler:innen und allen, die diese Begeisterung für Essen, Kochen und Gas-
tronomie teilen. Mit etwas Glück wird dabei oder dadurch auch sein Promotionsvorhaben »Das imaginäre Restaurant – Visuelle Inszenierungsstrategien in Kunst und Küche« irgendwann fertig. Den gastronomischen Alltag erlebt
er weiterhin im Familienbetrieb »Der Löwen« in Hagnau am Bodensee.

Vincent Fricke leitet als Gründer und Geschäftsführer der HolisticFood GmbH
ein Catering- & Consultingunternehmen mit den Schwerpunkten gesunde und ganzheitliche Ernährung. Er ist als Agile Coach und Manager für nachhaltige Ernährung in verschiedenen gastronomischen und kulinarischen Projekten tätig. Im Zeichen der ethischen Kulinarik und des KontrastKonsums hat er bereits mehrfach sein Pop Up-Restaurant Fleischkonsum eröffnet, mit dem er die Idee des Nose-to-Tail-Eatings aufgreift. 2019 startete er mit der Journalistin Maria Kufeld den Food-Podcast Foodure, in dem er immer wie-
der auch namhafte Protagonisten der Food-Szene vor dem Mikrofon hat, und ist Betreiber dieses Blogs.

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